Texte

 

 

Annette Stemmann arbeitet mit bemerkenswerter Ruhe an einer ganz eigenständigen Position, die das Universelle und das

Persönliche als gleichberechtigte Mitte von Malerei behauptet. In ihren Farben liebenden, leuchtenden Bildern herrscht

dabei eine rätselhafte Komplexität, die sich eindeutigen Entschlüsselungen widersetzt.

 

Die Künstlerin arbeitet an Bildern, teils mehrteiligen Tableaus, auf präparierten Hartfaserplatten und an Zeichnungen,

welche oft deren Entwürfe darstellen, aber ebenso gut alleine bestehen dürfen. Das Moment einer Sammlung und dessen

innere Relationen bestimmen dabei ihre Bildkonzepte.

 

Eine poetische Gleichzeitigkeit ist entworfen, die in einer Übersicht mit der Bedeutsamkeit der Bildteile spielt. Die

Sammlung von Eindrücken, Stadtszenen und immer wieder die menschliche Figur, teils zeichenhaft skizziert, finden sich

neben Plastikfiguren, abgelegtem Spielzeug, Märchen- und Fabelwesen; Ikonen im Bereich des Alltags in Farben umgesetzt.

Auf organische Weise entstehen dabei sich beeinflussende Relationen der Komposition. Wie beim Duchqueren einer

Landschaft wechselt unser Blick, Eindrücke streifen uns, stärkere Bilder bleiben und lösen sich doch im Gesamten vor uns.

 

Annette Stemmanns Bilder orperieren mit den unterschiedlichen Formulierungen, Gegenständlichkeit und Abstraktion,

Ornament und Fläche, Zitat und Leerstelle. Eindrücke konkurrieren und thematisieren eine Hierarchie der Bilder ohne sie

jemals auszuüben. Ihre selbstbewusste, ungebundene Arbeitsweise erscheint in gelösten Bildkompositionen evoziert, deren

Zurückhaltung als ein unmerklicher Kommentar, einer mutigen Haltung im Kunstdiskurs, gesehen werden kann.

 

Manfred Kirschner

 

 

 

Redetext von Uwe Teichmann, "Kunde Nr. 98", Zeichnung und Tapete


Im Zentrum der Bildwelt von Annette Stemmann steht der Mensch in städtischer Umgebung. Ich, du, er, sie, es, wir, ihr,

sie sind in Bewegung auf Straßen, Plätzen und Passagen des Konsums, in Warteschlangen und Amtsstuben. Wir sehen auf

A5-Zetteln gezeichnete Dopplungen amtlicher Identität als Bankkunde oder Krankenversicherte, oder reduziert zum

Muster auf Ausschnittsbögen. Wir sehen Menschen vor allem als Lebewesen in parallelen Abbildungswelten.

Die naturalistische Illusionsperspektive ist in diesen Zeichnungen bloß gelegentliches Zitat einer möglichen Bildsprache,

die anderen Bildsprachen begegnet, ohne dass eine die andere dominiert.

 

Bild und Sprache, Worte und wortähnliche Zeichen und Embleme sind in dieser Installation vielfältig miteinander verwoben.

Mensch kann sowohl die einzelnen Zeichnungen als auch ihre vernetzte dreidimensionale Einrichtung als Bild sehen

oder wie eine Textcollage lesen. Aus dem großen Fundus ihrer Zeichnungen hat Annette Stemmann Motive freigestellt

und zum Rapport für den Tapetendruck verarbeitet (siebe Webseite "Raum"). Die filigranen Muster sind auf den ersten Blick,

von weitem, durchaus dekoratives Augenfutter, auf den zweiten, näheren Blick zeigen sich Figuren und Embleme die solch

erstaunliche Titel wie "Jobcentertapete" oder "Kunde Nr. 98" verständlich machen. Der Rapport als Zeichen für eine

gewisse Monotonie prekärer Lebenssituationen? Und überhaupt. Tapeten! Ist das denn Kunst? Tapeten sollen uns unauffällig

begleiten, sind Wandschmuck, der durch den alltäglichen Gebrauch fast unsichtbar wird. Auch wir werden reduziert

zum "Endverbraucher" oder "Kunden" beim Jobcenter anonymisiert, entindividualisiert. In solchen Situationen wollen viele

Menschen am liebsten unsichtbar sein. Das brechen Annette Stemmanns Zeichnungen auf. Sie zeigen was oft verborgen

bleibt, und sie zeigen es mit Ernst und Humor.

 

Eine zweite Tapetenarbeit (siehe Webseite: "Raum") scheint einige Zeit durchfeuchtet und häufig geflickt zu sein. Die

älteste Schicht besteht aus floralen Motiven, die mit einer früher gebräuchlichen Rolle gedruckt sind. Darüber breiten sich

ebenfalls florale, aber gezeichnete Motive aus, die -fast lebendig- auch pflanzliche Wachstumsprozesse sichtbar machen.

Das Pflanzliche ist in Annette Stemmanns Bildern nicht bloß Motiv, sondern ist in der Art des Wachstums verwandt mit den

Prozessen ihrer Bild- und Titelfindungen. Auf der Ebene der Abbildung gibt es in dieser Installation noch ein weiteres Spiel,

das heißt: was ist Original und was ist Kopie? An diesen Wänden hängen einige Beispiele, an denen selbst geübte

BetrachterInnen verzweifeln könnten. Dieses Spiel ist kein Selbstzweck, sondern Spiegel und Ausdruck der Situation

schöpferischer Künstler, die in einer Zeit von Bild- und Reizüberflutung leben. Vervielfältigungen drohen die Kunst-

produzenten zu enteignen und die Bilder zu entwerten.

Eine dritte Tapetenarbeit ist bewusst dekorativ gestaltet. Das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Dekoration,

das Annette Stemmann seit langer Zeit beschäftigt, findet hier zu einer Art Koexistenz. Die Mittel der Künstlerin sind die

Zeichnung, die Malerei, Collage und Digitaldruck. In dieser Ausstellung sehen wir quasi den Rohstoff der bildenden Kunst:

Handzeichnung auf Papier - unabhängig von jeder technischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Veränderung. Das ist

zeitgenössisch und unverzichtbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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